[USA] Teil 1: mit NJ Transit nach NY pendeln

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kcp
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[USA] Teil 1: mit NJ Transit nach NY pendeln

Beitrag von kcp »

Hallo,

die Tatsache, das mein Bruder für zwei Jahre in die Staaten zum Arbeiten gegangen ist, brachte mir die Chance mehrmals rüber zu fliegen und seine Wohnung als Basis für NY-Touren zu nutzten. Eine Bericht von 2 Wochen pendeln zwischen New Jersey und New York.

NJ Transit Morris & Essex Line
Mein Bruder wohnte in South Orange, NJ. Von dort ist man mit dem Zug in etwa 45 Minuten in Manhatten. South Orange liegt an der "Morris & Essex Line" von NJ Transit. New Jersey Transit (NJ Transit) ist die Verkehrsgesellschaft des Staates New Jersey und betreibt diverse Bus, Straßen- und Eisenbahnlinien. Auf der Morris & Essex Line verkehren Zügen die teilweise in Hoboken, NJ enden sowie Züge direkt zur Penn Station in Manhatten. Die Züge nach Manhatten verkehren unter der Marke "Midtown direct".

Die Strecke ist elektrifiziert und großen Teils 3-gleisig, gefahren wird auf den beiden äußeren Gleisen, daß Mittelgleis dient für Expresszüge zur Rush Hour (morgens gen Manhatten, abends ins Umland). Gefahren werden die meisten Züge mit rund 10 Doppelstockwagen aus dem Hause Bombardier, gezogen oder geschoben von in Deutschland gebauten APL46 E-Loks (http://de.wikipedia.org/wiki/NJT_ALP_46 die Loks sind aus der Baureihe 101 abgeleitet). Die Loks müssen mit verschiedenen Stromsystemen umgehen, weil die Strecke in Kearny Junction in den "North East Corridor" einfädelt, der mit ein anderen Stromsystem arbeitet als die Morris & Essex Line.

Ein NJ Transit Midtown Direct Service bei der Einfahrt in South Orange, NJ,:
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Ab und zu, fahren auch Garnituren mit Nicht-Doppelstockwagen. Das wurde dann zum Teil schon reichlich eng in der Rush Hour
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Bahnhof South Orange, NJ
Die Nummerierung der Gleise ist ein wenig gewöhnungsbedürftig, so hat das Mittelgleis die Nummer 3. Da aber auf dem aushängen Fahrplan, sowieso keine Gleisangaben angegeben sind, eher unproblematisch. Auf den Bahnsteigen hängen, die Angeben in welche Richtung die Züge dort fahren. Der Aushangfahrplan ist nämlich der Faltplan, der auch in der Empfangshalle zum mitnehmen ausliegt. Per extra Aushang in der Bahnhofshalle wird informiert welche Rush Hour Express-Züge vom Mittelgleis fahren. Einige Züge tragen den Hinweis, daß der Zug früher verkehren kann, aber zu angegeben Zeit. Das traf meist für Express Züge der Abend Rush Hour zu, da die im Prinzip nur zum Aussteigen halten.

Für 10 Doppelstockwagen ist der Bahnsteig zu kurz, weshalb der erste und letzte Wagen jeweils halb abseits von Bahnsteigen stehen. Dementsprechend sind die Türen dort verschlossen (zum Thema Türen komme ich gleich nochmal). Die Wagen sind hoch und der Bahnsteig niedrig, daher ist keine ebenerdiger Einstieg möglich. Um trotzdem bspw. Rollstuhlfahrern den Einsteig zu ermöglichen, ist das letzte Stück des Bahnsteigs erhöht und mit einer Rampe versehen.

Am Wochenende wird ein Stundentakt gefahren, unter der Woche gibt es keinen richtigen Takt, es fahrt aber mindestens ein Zug pro Stunde. In der Rush Hour fahren die Züge in recht kurzen Abständen von ca. 15 Minuten. Betriebszeitraum ist von etwa 05:00 bis 01:00 Uhr, sodaß man auch abends etwa nach dem Besuch am Broadway noch nach Hause kommt.

Im Zug
In jedem Zug fahren rund eine Hand voll Zugbegleiter mit. Nach dem Einstieg, steckt man seine Fahrkarte an einen kleinen Clip am Sitz. Beim Kontrollgang nimmt der Zugbegleiter die Karte, stempelt sie (genauer: Lochen mit einer Zange) und steckt sie ein. Er hängt dafür einen anderen Belag den Sitz, wo durch Zangenlöcher markiert ist, von wo nach wo man fahren will. Nur wenn man eine Umsteigeverbindung hat (und natürlich bei Dauerkarten) darf man sein Ticket behalten.

Spaßig wird der Ausstieg: Die Wagen haben Türe für hohe Bahnsteige und Türen für hohe und niedrige Bahnsteige. Die Türen für niedrige Bahnsteige haben Treppenstufen, hält der Zug an einem Bahnhof mit nur hohen Bahnsteigen, kann der Zugbegleiter die Treppe mit einer Metallklappe abdecken und so einen Ausstieg an einem hohen Bahnsteig ermöglichen. Daher ist es von außen wenn man am Bahnsteig steht, auch oft nicht vorherzusagen, welche Türen aufgehen. Hängt immer ein bißchen davon ab, wieviel Lust zum Klappen die Zugbegleiter haben.

Systemtrennstelle bei Kearny Junction
In Kearny Junction fädelt die Strecke in den North East Corridor (Strecke Boston - NY - Philadelphia - Washington) ein. Wegen der unterschiedlichen Stromsysteme wird dort eine Systemtrennstelle passiert. Im Zug äußert sich das dadurch, daß die Klimaanlage für rund 30 Sekunden ausgeht, dann herrscht auf ein Mal eine ungeahnte Stille im Wagen. Bei den älteren Wagen (nicht doppelstöckig) die auch noch verkehren, geht sogar das Licht aus und es ist nur noch die Notbeleuchtung an.

Tunnel nach Manhatten
Hier mußten wir auch öfters warten, um uns in den Verkehr einzureihen, weil das letzte Stück von Manhatten teilen sich die Züge verschiedener Linien von NJ Transit und die Fernzüge von Amtrak. Das letzte Stück nach Manhatten führt durch einen Tunnel unter dem Hudson. Für jede Richtung steht eine eingleisige Röhre zur Verfügung. Zur Rush Hour wird hart an der Kapazitätsgrenze gefahren, weshalb wir uns Verspätungen auch meist in dem Stück eingefangen haben.
Es sollten zwei zusätzliche Röhren gebaut werden (Projekt ARC - Access to the Regions Core), um mehr Verkehr abwickeln zu können, die Bauarbeiten hatten sogar begonnen, aber der neue Governeur von New Jersey hat dem Projekt den Stecker gezogen, weil sein Staat kein Geld die zu erwartenden Kostensteigerungen zu finanzieren. Mittlerweile werden Alternativen untersucht u.a. die Tunnel doch zu bauen, oder eine Linie der New Yorker Subway bis nach Jersey zu verängern, ...)

New York Penn Station
Seinen Namen hat die Penn von der Pennsylvania Railroad, die dem Bahnhof gebaut hatte. Das alten Bahnhofsgebäude hat man in den 60er Jahren abgerissen und die Veranstaltungshalle "Madison Square Garden" an die Strelle gesetzt, sodaß die Penn heute im Prinzip nur noch unter der Ecke existiert. Der Komplex erstreckt sich in Ost-West-Richtung unter der 7. und 8. Avenue (jeweile begrenzt durch die Subway) und in Nord-Süd-Richtung auch über rund 3 Blocks. Das Ding ist ein unterirdisches Gewirr mit verschiedenen Verteilerebenen, gefühlten tausend Ausgängen und vor allem für die Pendlermassen viel zu klein. Die Bahnsteige sind recht schmal (viele Dorfbahnsteige bei uns dürften breiter sein) und auch auf den Rolltreppen und sonstigen Aufgängen herrscht immer Gedränge. Ich bin nach der Einfahrt immer noch mindestens 5 Minuten sitzen geblieben vor dem Ausstieg und Stand dann trotzdem meist auf der Treppe im Stau.

Gleise für Zugabfahrten werden rund 10 Minuten vor der Abfahrt erst angezeigt, deshalb sitzt alles in den Wartebereichen und schaut wie gebannt auf die Anzeigetafel. Sobald ein Gleis erscheint setzt sich die Herde in Bewegung. Je nachdem von welchem Warteraum man sitzt (allen NJ Transit hat 3 Wartebereiche) und wo das Gleis ist, sind 10 Minuten schon recht sportlich um sich durch die Massen zum Gleis durchzuschlagen. Zusätzlich zu den Zügen von NJ Transit verkehren von der Penn noch Züge von Amtrak (u.a. Acela nach Washington und Boston), sowie die Long Island Railroad.

Die Grand Central Station ein paar Straßen weiter, hat sich ihren Bahnhofscharme noch erhalten und vermittelt noch das Gefühl von großen Zeiten der Eisenbahn in den USA. Ein Klassiker-Bild, das glaube ich fast jeder Eisenbahnfreund aus New York mitbringt: Rush Hour in Grand Central Terminal (im Gegensatz zur Penn Station hat Grand Central noch Bahnhofscharme)
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John Cage aus Ally McBeal hätte am 4:45pm Metro North Service bestimmt seine Freude ;-)
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Besondere Vorkommnisse
Meine zwei Pendlerwochen waren eigentlich recht ereignislos, abgesehen von u.a. mal Verspätungen von rund 15 Minuten. Nur als letzte Woche eine Amtrak Baumaschine im Tunnel entgleist ist und nur eine Röhe zur Verfügung stand, wurde es etwas aufregender: Die Midtown Direct Züge endeten in Hoboken und man mußte auf den PATH (eine U-Bahn nach Manhatten) umsteigen. War im Prinzip kein Problem, nur hatte man die Anerkennung der NJ-TRansit Tickets durch den PATH so gelotst, daß an zwei von 10 Drehkreuzen in Hoboken NJ Transit Mitarbeiter standen, denen man sein Ticket gezeigt hat und die einen dann durchs Drehkreuz lesen. Die Reisenden von 10 Doppelstockwagen so durchzuschleusen, war ein wenig länglich.

Ansonsten nur das übliche Ärgernis der Klimaanlagen. In der ersten Woche gab es nachts teilweise noch Frost und trotzdem lief die Klimaanlage auf Vollgas, sodaß es im Zug bald noch kälter war als draußen ;-)

PATH, WTC, Occupy
Bis in die deutschen Nachrichten haben es die Kapitalismus-Kritiker von "Occupy Wall Street" geschafft. Deren Camp im Zucotty Park liegt direkt gegenüber der Baustelle für das neue World Trade Center. Die Versammlung ist eine Mischung aus Volksfest und Hippie-Bewegung. Auf der einen Seite beobachtet von den Kamera des NYPD, auf der anderen Seite die Übertragungswagen der Fernsehsender. Dazu jede Menge Touristen, die sich das Spektakel ansehen wollen. Mein persönlicher Favorit unter den Plakaten: "Tear down Wall Street, build factories".
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Der Park ist Privatgelände, ist aber "open to public" und hat (im Gegensatz zu den städtischen Parks) keine Sperrstunde, daher dürfen sich dort rund um die Uhr Leute aufhalten. Mittlerweile haben sie auch Putzdienste etabliert, nachdem der Eigentümer mit Teilräumung gedroht hat, um sauber machen zu können. Solche Privatparks für die Öffentlichkeit sind in NY nichts ungewöhnliches. Wenn der Bauherrr sowas einrichtet, bekommt er Erleichterungen bei den Bauauflagen (z.B. was die Höhe angeht).

Gegenüber: Einer der neuen Türme (1 World Trade Center aka Freedom Tower) wächst stetig gen Himmel
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Vom World Trade Center aus, fährt die PATH-U-Bahn nach Hoboken und Newark in New Jersey (http://de.wikipedia.org/wiki/Port_Autho ... ans-Hudson). Der größte Teil des Netzes ist unterirdisch, nur zwischen Journal Square und Newark gehts über der Erde. Daher gabs wenig Chancen zum knipsen. Ein Zug der neuesten Baureihe in Richtung 33th Street am Journal Sq.
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Tickets
Ich hatte jeweils eine Wochenkarte. Allerdings gelten die bei NJ Transit immer fest ab Samstag bis zum folgenden Samstag 01:00 morgens. Bei der Subway gilt die Wochentage 7 Tage ab erster Nutzung.
Auch war die Preiskalkulation der NJ Transit Wochenkarte ein wenig merkwürdig. Damit die sich lohnt, muß man schon 4,5 Tage fahren. Für einen Pendler der zum Arbeiten 5 Tage nach Manhatten fährt, ist die Einsparung also enorm. Für die Monatskarten sieht es nicht viel besser aus.

Trivia
Zum Schnluss noch ein paar eisenbahnfreie Kuriositäten:
Career-Center am Times Sq. (ohne Worte)
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911 ist überall
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Der Tod von Apple Chef Steve Job hatte zur Folge, daß sich die Bauwand vor dem Apple-Store auf der 5th Ave. über Nacht in eine Gedenkstätte mit Blumen ein Beileids-Post-Its verwandelt hat
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Ich hoffe es hat bis hier gefallen.

That's all for today folks. More to come.

Cheers
Charly
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